Rezension zum Buch „Kritik der Migration“ von Hannes Hofbauer
Der Publizist H. Hofbauer aus Österreich stellt in seinem Buch Migration in einen grösseren historischen Kontext und verarbeitet dabei zahlreiche frühere Studien zur Geschichte der Migration mit einem Fokus auf die EU-Osterweiterung.
Der Autor betrachtet das Phänomen „Migration“ vorwiegend aus einer ökonomischen Perspektive und spricht von „Mobilität von Arbeitskräften“, die er sowohl für die Herkunftsgesellschaften, als auch für die Zielländer negativ beurteilt.
Der Untertitel des Buches „wer profitiert und wer verliert“ beantwortet Hofbauer im Sinne des vertrauten Gegensatzes von Kapital und Arbeit und entwickelt daraus seine emigrationskritische Sicht.
Mit fundiertem Zahlenmaterial legt er dar, dass für die grössere Zahl von Menschen Ortsgebundenheit und Sesshaftigkeit weiterhin die Norm ist. Mobilität wird aus seiner Sicht durch unterschiedliche Ursachen und gezielte Handlungen erzwungen; soll aber nicht per se als Grundbedingung des Menschseins oder gar „Fortschritt“ verstanden werden.
Vertreter des Neoliberalismus sehen in der Arbeitskräftewanderung einen marktwirtschaftlichen Gleichgewichtsmechanismus. Hofbauer widerspricht dieser These und schreibt gar von einem „Mythos Mobilität“. Er hält fest, dass diese Mobilität aus wirtschaftlichen Gründen von den Wirtschaftsvertretern gefördert wird. Und weder in den Herkunftsländern noch in den Aufnahmegesellschaften zu nennenswerten Vorteilen führt.
Eindrücklich ist hier sein Beispiel, wie die Schweiz von gut ausgebildeten medizinischen Fachleute aus Deutschland profitiert, die BRD jedoch zum Beispiel Ärzte aus Polen holt. Dieses Land den Verlust wiederum mit Personal aus Rumänien ausgleichen versucht … und Rumänien auf Ärzte aus der Ukraine zurückgreift. Den Schaden trägt vermutlich die Ukraine, oder noch ein anderes Land am Ende dieser orchestrierten Talentabwanderung.
Interessant finde ich auch seinen Standpunkt, dass Mobilität zum einen von den herrschenden politischen Kräften gefördert wird, andererseits inzwischen auch zum Selbstverständnis und Repertoire einer gut ausgebildeten Mittel- und Oberschicht gehört. Die bekanntlich -gefördert durch politische Entscheidungen- seit Jahren zu Discountpreisen immer häufiger und weiter reisen kann. Mit der Möglichkeit, auch den Arbeitsplatz -digitalen Nomaden ähnlich- ins Ausland zu verlagern.
Hier stellt der Autor die Frage, ob mit dieser Entwicklung die Bedürfnisse vieler Menschen nach Sesshaftigkeit und sozialer Sicherheit nicht vernachlässigt werden (S. 256).
Aufschlussreich ist auch seine Darstellung, dass die sogenannten „Gastarbeiter“ stets als „Verschubmass“ (S. 92) eingesetzt wurden, da sich in vielen Ländern je nach konjunkturellen Lage, Anwerbephasen mit Anwerbestopps und geförderter Rückwanderungen abwechselten.
Regionale und soziale Unterschiede sind seiner Meinung nach die entscheidenden Triebkräfte für Wanderungsbewegungen (S. 211). Mit der Perspektive von besseren Löhnen geförderte Mobilität der Arbeitskräfte, kombiniert sich Profitstreben in den Zielländern. Durch Zuwanderer im Billiglohnsektor, als Saison- und Leiharbeiter, Werkverträge oder als Schein-Selbständige, üben die Wirtschaftsvertreter Druck auf den Arbeitsmarkt, was zu stagnierenden Reallöhnen der letzten Jahrzehnte geführt hat. Vermutlich erzeugt die Migration einen gesteigerte Binnen-Nachfrage, doch Hofbauer bezweifelt, dass durch Migration die Gesellschaft bereichert wird.
Bezüglich dem bitteren Streit in der EU um die Verteilung der Flüchtlinge, erwähnt er den Kern der Auseinandersetzung, wessen Flüchtlinge dies sind. Ohne, dass auf europäischer Ebene eine Einigung absehbar wäre.
Im Kapitel „Die große Wanderung der Muslime“ (S. 135-178) zeichnet er kritisch die Ereignisse ab 2015 nach: die hauptsächlich von den USA zu verantwortende Destabilisierung des Iraks und Afghanistan durch kriegerische Interventionen, der Bürgerkrieg bzw. versuchte „Regime-chance“ in Syrien, die bewusste Unterfinanzierung vieler Flüchtlingslager am Rande Europas, die absehbare Zuspitzung am Budapester Bahnhof … und schliesslich die Wortwahl von Bundeskanzlerin Merkel bezüglich „Aufnahme in Deutschland“, welche aus seiner Sicht der Fluchtbewegung einen zusätzlichen Schub verleihte.
Hofbauer erinnert daran, dass im jugoslawischen Bürgerkrieg anfangs der 90-er Jahre wehrfähige Männer zurück in den Krieg geschickt wurden. Und merkt kritisch an, dass inzwischen in mehreren europäischen Ländern eine hohe Anzahl von abgewiesenen Asylsuchenden, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihre Herkunftsregion abgeschoben werden, „allergrößte demografische, soziale, kulturelle und politische Probleme“ Herausforderungen generieren (S. 159).
Bezüglich Kosten der Migration, schreibt der Autor:
„Leid und Elend sind monetär genauso schwer quantifizierbar wie erfolglose oder erfolgreiche gesellschaftliche Integration von MigrantInnen.“ (S. 169).
Und lässt uns als Lesende vermuten, dass die für viele Volkswirtschaften elementar wichtigen Rücküberweisungen der Geflohenen in ihre Heimatländer die Zerstörungen und den intellektuellen und sozialen Verlust durch die Abwanderungen in keiner Weise ausgleichen können.
Erstes Fazit: Mit einer ökonomischen Brille betrachtet, heisst die Lösung zum Themenkomplex „Migration“ für Hannes Hofbauer, vereinfacht ausgedrückt:
„Wohlstand verringert Zwang zur Mobilität“. Erfolgen in den Herkunftsländern Investitionen und werden dort neue Arbeitsplätze geschaffen, verringern sich die Wanderbewegungen.
Mobilität ist nicht „alternativlos“, sondern in der Regel folge von politischen Entscheidung und Handlungen, sowie weiteren Faktoren. Die Mobilität von Arbeitenden ist im Sinne der Kapitalverwertung; doch in der Regel gehören die Migranten und mehr noch die Herkunftsländer zu den Verlierern. Denn Migration verursacht zahlreiche soziale und wirtschaftliche Herausforderungen.
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag und die Zusammenfassung des Buches von Hannes Hofbauer. Ich habe das Buch, Zu meiner Überraschung und Freude, in meiner lokalen Buchhandlung gefunden. Der Titel „Kritik der Migration – Wer profitiert wer verliert?“ hat mich anfänglich skeptisch gestimmt. Wobei eine kritische Debatte dem Thema Migration gut anstehen würde. Es wäre dringend notwendig, einige Selbstverständlichkeiten und gewisse Tabus offen anzusprechen.
Nach meinem Verständnis geht es dem Autor in erster Linie darum aufzuzeigen, wie das Kapital die Mobilität der Arbeitskräfte für die Profitmaximierung nutzt. Und wie die Politik, für diesen Prozess, stillschweigend die Destabilisierung ganzer Gesellschaften in Kauf nimmt.
Die Stärke des Buches liegt für mich dort, wo es die Arbeitsmarktpolitik der europäischen Union, besonders im Kontext der Osterweiterung, beleuchtet. Dabei geht Hofbauer ausführlich auf Fluchtbewegungen und ihre Ursachen ein. Für ihn ist klar: ein Grossteil der Migration ist die Folge von politischen Entscheidungen in den Wirtschaftsmetropolen des Nordens.
Irritiert hat mich die Überschrift „Die grosse Wanderung der Muslime“ im Kapitel über die Flucht der Menschen aus dem Irak, Afghanistan und Syrien. Was er sich dabei gedacht hat?
Ich empfehle das Buch besonders diejenigen, die sich bisher noch wenig bewusst waren, wie die jüngste europäische Geschichte sich nahtlos an die koloniale Vergangenheit anschliesst. Und wie der Brain Drain auch heute munter weitergeht. Zum Schaden der Gesellschaften, aus denen die gut qualifizierten Migrantinnen und Migranten stammen.
So oder so: Ihre Webseite merke ich mir und freue mich auf weitere Rezensionen zum Themenbereich Migration.
Mag. A. Manser
Danke für Ihren Kommentar, Herr oder Frau Manser.
Ja, das Buch hat eine ökonomistische Schlagseite. Auch mir war bisher keine Aufarbeitung der EU-Osterweiterung bekannt, welche die von Hofbauer erwähnten kritischen Punkte schlüssig darstellt. In diesem Sinne bin ich dem Autor für diese Einsicht dankbar. Sie nehmen Anstoss an der Titelüberschrift „Die grosse Wanderung der Muslime“ im Kapitel über den Nahen Osten. Hier teile ich Ihre Sorge; die Wortwahl scheint mir völlig unpassend. Allerdings finde ich es verdankenswert, dass er darauf hinweist, dass gerade die BRD, aus mir nicht ersichtlichen Gründen, im Jahr 2015 und später, zumindest bei einem Teil der Flüchtlinge aus Syrien, auch Menschen aufgenommen hat, die radikalisierten, sprich: islamistisch gesinnten Kreisen, angehörten. Diese Politik wurde erst beendet, als klar wurde, dass das Projekt „regime-change“ im Moment in Syrien nicht durchsetzbar ist.
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Alles Gute, Ihr Yvo Wüest