Migranten sind … irgendwie „anders“ – oder einfach verschieden?  Plädoyer für eine achtsame Sprache

Eine Freundin kehrte kürzlich von einem längeren Aufenthalt aus Kuba zurück. Da ich selber beruflich längere Zeit auf der Antilleninsel tätig war, verabredeten wir uns für ein Treffen. Mich interessierten ihre Beobachtungen und Erfahrungen während ihres Mandates für eine europäische NGO. Ich erhoffte mir neue und frische Eindrücke, die in den Mainstreammedien kaum Erwähnung finden. In Erinnerung geblieben ist mir Ihre Bemerkung, „die Männer und Frauen in Kuba ticken anders“. Im folgenden Beitrag reflektiere ich die Verwendung dieser Redewendung. Und plädiere für eine achtsame(re) Sprache.

Zumindest in dieser Form ist die Redewendung den meisten Menschen vertraut: „Dort ticken die Uhren anders“. Für mich schwingt bei dieser – auf den ersten Blick belanglos scheinenden Formulierung- stets eine kaum wahrnehmbare, jedoch eindeutig negative Konnotation mit. Ich höre bei dieserVerwendung von „anders“ immer auch die Botschaft „fremd“ und eine Art sprachliche Pauschalisierung oder gar „Vor-Verurteilung“. Auch wenn die Redewendung, das heisst die sie verwendende Person, dies mit Sicherheit nicht immer beabsichtigt.

Ich bin mir bewusst: in der Debatte über Transkulturalität impliziert „Andersartigkeit“, verstanden als Differenz, keine unterschwellige Diffamierung. Im Gegenteil, geht es doch in einer aufgeklärten Gesellschaft darum,

„(…) die Kultur der Arbeitsmigranten_innen und ihrer Kinder nicht als defizitär, sondern in ihrer Differenz zur Kultur der Einheimischen“zu betrachten.“

(A. Nohl, Konzepte interkultureller Pädagogik, Verlag Julius Klinkhardt, 2006, S.9)

Und doch behaupte ich, in der unsorgfältigen Verwendung des Begriffes „anders“ laufen viele Sprechende Gefahr, Stereotypen zu verfallen.

Dabei beabsichtige ich mit meinen Trainings- und Beratungsangeboten zu „Transkulturalität“ -so wie vermutlich alle kompetenten Fachleute für Transkulturalität-genau dies: Mitarbeitende und Fachleute sollen befähigt werden, mit Vielfältigkeit und kultureller Pluralität besser umgehen zu können.

Denn im Kern bedeutet „anders“ nichts anderes als … „anders“. Trotzdem bin ich überzeugt: die Vielfalt unterschiedlicher Lebensformen verlangt nicht zwingend, unbedarft von ethnischer oder kultureller „Andersartigkeit“ zu sprechen.

Diese Gründe stimmen mich kritisch:

  • In der Tendenz ist das Wort „anders“ auf Deutsch negativ konnotiert.
  • Fast immer schwingt bei der Verwendung eine (negative) Wertungmit
  • Wer „anders“ in Bezug auf Menschen verwendet, geht von einem fragwürdigen und oft nicht haltbaren „Normal-Typ“ aus. Ich persönliche kenne keinen solchen „Norm-Menschen“ und möchte ihm oder ihr auch nicht begegnen.

Beispiele für die Verwendung von „anders“ in einer negativen oder wertenden Weise

  • „Die Männer dort haben eine andereMentalität“.
  • „Die Stellung der Frau ist dort ganz anders“.
  • „Sie haben ein anderesZeitverständnis“ (gemeint ist z.B. ihr Umgang mit der in Mitteleuropa relevanten Pünktlichkeit bei Verabredungen).

Noch einmal: ich unterstelle kaum jemandem böse Absichten, bei der Verwendung von „anders“ in einem vergleichbaren Kontext. Aber mir fällt auf: wenn im Zusammenhang von Migrantinnen und Migrannten das Wort „anders“ verwendet wird, erkennen wir leicht, wie subtil und komplex Diskriminierung oft abläuft.

Denn mit „anders“ beabsichtigen wir Menschen meist, eine klare Grenze zu ziehen. In dem wir sprachlich abgrenzen: Hier stehen wir… dort die Anderen. Da scheint es nur paradox, dass ich, wenn ich im Wörterbuch nach einem anderen Wort für „anders“ suche, ein Synonym, das heisst: einen gleichwertigen Ersatzfinden möchte.

Vermutlich liegt die Lösung, wie so oft im Leben, in einer gewissen Flexibilität: in dem wir –statt fix auf Synonyme zu pochen- alternative Begriffeverwenden, die im Unterschied zu „anders“ nicht negativ konnotiert sind. Dafür geeignet sehe ich die Begriffe „verschieden“ oder „unterschiedlich“. Ich sehe bei diesen Wörtern keine (negative) Bewertung, als bei „anders“. Um Ab- oder Ausgrenzung, auch Diskriminierung zu vermeiden, empfehle ich darum, auf die Wörter „verschieden“ oder „unterschiedlich“ zurückzugreifen.

Die oben kritisierten Formulierung würden dann so klingen

  • „Die Männer dort haben eine unterschiedliche Mentalität“.
  • „Die Stellung der Frau ist dort, im Vergleich mit ihrer Stellung hier, verschieden“.
  • „Sie haben ein unterschiedliches Zeitverständnis“.

Was ist Ihre Sicht auf das Thema und welche Bedeutung messen Sie „achtsamer Sprache“ im beruflichen Kontext und in der Transkulturalität bei?

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